Das Selbst erkennen

Beziehungsstatus unzufrieden?

Die Erkenntnis, das Verständnis allein genügt nicht, damit wir uns in der nächsten Beziehung anders verhalten.
Es braucht eine Handlungsänderung.

Maya Onken

Liebesbeziehungen erfüllen oder vernichten uns. Oder plätschern vor sich hin und das Glücksgefühl will sich irgendwie nicht einstellen. Glücklich sind wir, wenn alles stimmt, unglücklich oft schon, wenn ein einziger Parameter nicht erfüllt ist. Worauf haben wir selbst Einfluss? Kennen Sie Ihre eigenen Anteile in Ihren Paarkonstellationen? Verstehen Sie Ihre Partnerwahl? Die Zürcher Autorin Maya Onken gibt uns hier einen fundierten Begleiter für die Suche nach Antworten, und vor allem eine Skizze von Möglichkeiten, damit wir aus den eigenen Krisen was lernen und es auch umsetzen.

„Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.“ Mit diesen Worten eröffnet Lew Tolstoi um 1878 seinen Jahrhundertroman Anna Karenina. Stimmen Sie seiner Aussage zu? War Kareninas Unzufriedenheit einzigartig? War die ihrige Weise nicht auch vielen anderen wohl vertraut? Denken wir an die bekannten Scheidungs- und Trennungsgründe unserer Zeit, ist ihre Anzahl doch irgendwie begrenzt. Auch wenn immer neue hinzukommen — die Gründe sind endlich. Genauso die Charaktere mit ihren Verhaltensmustern, auch die lassen sich in Typen einteilen.

2024. Beziehungsstatus unzufrieden ist der Titel des neuen Buchs der Germanistin Maya Onken. Der Titel ist insofern tröstend, dass wenn es schon ein Buch zu dem Thema gibt, heisst es: Ich bin damit nicht allein. Ein fröhliches Cover (in den Lieblingsfarben der Autorin, wie sie selbst zugibt), stimmen mich auf eine heitere Lektüre ein. Damit kann ich mir in den Sommerwochen die Teilzeit-Misere des Alleinseins vertreiben, dachte ich, bis ich die ersten Seiten las. Denn rasch wurde mir klar: Hier muss ich nachdenken. Über mich selbst! Selbstreflexion ist gefragt, am besten schriftlich. Nix mit Unterhaltung!

Obwohl die Autorin Frauen gleich zu Beginn empfiehlt, die über zweihundert Seiten in beliebiger Reihenfolge zu lesen, begann ich schön von vorne und las linear – wollte zum Termin der Buchlesung in Kreuzlingen den ganzen Inhalt kennen. Ja, das Werk ist an Frauen adressiert, doch gemeint sind alle Formen von Beziehungskisten, denn alle lassen sich auf die vorliegende Art psychologisch durchdringen.

Gleich zu Beginn können Sie verschiedene Test-Fragen beantworten – um einen Blick auf sich selbst zu werfen und vor allem, sich dem Persönlichkeitstypus zuzuordnen, dem Sie am Ehesten entsprechen. Solche Schubladenbildung ist hier sehr nützlich, um mit der Selbstkenntnis zu beginnen. Onken zeigt auf:

Niemand ist ausschliesslich ein Typ
und jeder ist unterschiedlichen Systemen unterworfen.

Die Grundlage der Typologie ist die Aufteilung des Psychoanalytikers Fritz Riemann aus den 1960-ern: Jeder hat eine bestimmte Art von Angst, der Grundemotion, die uns hemmt. Im späteren, sogenannten Riemann-Thomann-Modell, wurden Unterschiede in zwischenmenschlichen Tendenzen kategorisiert, mit denen man in Paarbeziehungen funktioniert, beziehungsweise nicht glücklich ist. Warum verharrt jemand lange bei einem Partner, der einen ständig demütigt? Wovor hat diese Frau Angst?

Um die verschiedenen Erscheinungsformen von Beziehungsunzufriedenheit einprägsam rüberzubringen, konstruiert Maya Onken, die nebst Schreibtisch auch eine erfahrene Erwachsenenbildnerin ist, vier Typinnen dieses Buchs: eine Seitenspringerin, eine Fürsorgerin, eine Bewahrerin und eine autonome Person. Für jede ist eine der menschlichen Grundenergien typisch: Fliehkraft, Fremdumkreisung, Schwerkraft oder Eigenumkreisung. Jede mit ihren charakteristischen Ängsten, jede braucht Nähe, Distanz, etwas auf die Dauer und auch Abwechslung. Ob diese Frauen Heldinnen sind, können Sie selbst entscheiden. Ihr Verhaltens- und Wertekatalog ist beeindruckend. Wer macht was und wer macht sich was vor? Wozu unterdrückte Gefühle führen, ist in den Beziehungs-Geschichten dieser Frauen zu finden. Sie sehen, die Materie ist verstrickt. Feste Beziehungen oder komplizierte Situationships – wie heute heisst, was tatsächlich oft gelebt wird – aus der inneren Perspektive nachgefühlt, das ist eine der Stärken dieser Frauenprofile. Sie sind emotional greifbar, sie alle kommen einem so bekannt vor. Und nein, an ihren Leiden sind nicht die Männer schuld.

Und jetzt? Genau an diesem Punkt ist die zu Beginn vorgenommene Typ-Zuordnung nützlich. Um Übersicht zu behalten und um zu erfahren, was man selbst, in eigener Beziehungsdynamik machen könnte. Das ist neben der Vermittlung vom psychologischen Wissen die wichtigste Leistung dieses Buchs: Sie erfahren, wie Sie von Fall zu Fall weiter handeln könnten. Natürlich mit dem Ziel, die eigenen Beziehungen zu höherer Zufriedenheit zu gestalten und zu leben. Dank toller optischer Strukturierung und einem unterstützenden Buchsatz sind die entsprechenden Textpassagen leicht zu erkennen; sie sind betitelt mit Du hast die Wahl. Diese Art Büffet macht die Leserin, also Sie selbst, zum eigenen Ratgeber – haben Sie sich verstanden, ist Ihnen klar, dass Sie auf vieles Einfluss haben und so oder so könnten Sie es bald anders machen. Alles ist sehr gut verständlich. Obwohl Onken mit vielen Metaphern und Analogien Bildhaft erzählt, erwähnt sie nicht das zurzeit allgegenwärtige „innere Kind“ und macht uns auch nicht zu Opfern unserer Partner. Dafür bin ich persönlich dankbar.

Ein für mich wichtiges Takeaway: Kehr bei Problemen zu diesem Buch zurück, finde die Konstellation, unter der du leidest und schau dir das Büffet an – was dir zur Wahl steht.

Vielleicht gerade verloren, aber nicht allein. Und schon gar nicht hilflos. Denn du hast eine Wahl. Täglich kannst du etwas anders denken und dich anders entscheiden als bisher.

Beziehungsstatus unzufrieden ist ein Arbeitsbuch. Egal, ob man als Leser die verschiedenen Ansätze zur Persönlichkeitspsychologie im Hintergrund erkennt oder nicht – es wirkt. Systemtheorie, Grundformen der Angst, Gewaltfreie Kommunikation – für wen sie trocken und eventuell deprimierend sind, ist mit Onkens Umsetzung besser bedient. Was treibt mich an und in welchem Kontext ist das so? Beruflich selbstständig und hartnäckig, getrieben stets was Neues zu probieren, privat seit Jahrzehnten in einer unbefriedigenden Beziehung? Ist dies vielleicht Ihr Fall? Diese scheinbare Widersprüchlichkeit erklärt eine Typ-Zuordnung.

Beziehungsstatus unzufrieden ist ein Findungsbuch. Erwerben Sie Wissen über das eigene Beziehungs-Verhalten. Wer aufpasst und in sich geht, der findet sich, bzw. viele Anteile des eigenen Selbst. Wie reagiere ich auf die Gleichgültigkeit meines Mannes? In welcher Lebensform stecke ich fest? Welche Kräfte wirken auf mich, dass ich es dann so mache wie ich es eben mache? Welche Kräfte könnte ich sonst noch aktivieren? Kann ich mir etwas anderes nicht vorstellen oder will ich es mir nicht anders vorstellen? Welche Art des Gewissens hat Ihr Elternhaus Ihnen vermittelt?

Welche zwischenmenschliche Konstellation ist die Nummer 1 in meinem Leben? Alles lauter unverbindliche Blitz-Beziehungen wie Charlie Sheen in Two and a half man oder ein bürgerlich familiäres Ideal, das sich aber nicht einstellen will? Bin ich ein Cheer-Leader-Charakter wie Amanda oder eher die ewige Geliebte wie Leonie? Stecke ich etwa im Warten und Hoffen? Was ist an der wiederkehrenden Verliebtheit in einen unnahbaren Mann?
An welcher Kombination leiden Sie? Welche Typin sind Sie? Und welcher Kategorie könnten wir Tolstojs Anna Karenina zuordnen?

Kann man sich hier identifizieren, geht es weiter um den sozialen Kontext, in dem wir uns bewegen; um die Bühne, auf der wir agieren. Denn diese ist ein weiterer wichtiger Faktor, der neben unserer Prägung unser Verhalten bestimmt. Passen wir uns an oder entwickeln neue Wahrnehmungskanäle? Und wie setzten sich die unbefriedigten Bedürfnisse durch? Welcher Typus sucht Befreiung, Ausgleich und auf welche Art? Wenn man Frust nicht ertragen kann und wenn Lebendigkeit das Ziel ist – Seitensprünge, Situationships mit mehreren Partnern, Flucht in erfundene Wunschwelten. Was erlaubt mir mein innerer Kompass nicht? Die Fürsorgerin mit totaler Hingabe, die dafür alles gemeinsam will – was unternimmt sie und was erträgt sie alles, um nicht verlassen zu werden? Was will sie alles nicht sehen? Wer braucht Abhängigkeit und wer mehr Luft? Und wenn sich jemand auffällig starr an alle Normen und Regeln hält – was hat er oder sie zu verbergen? Welcher Typus wird wann aggressiv? Wer leidet auf welche Art? Welcher Typ sind Sie in welcher Situation?

Beziehungsstatus unzufrieden ist ein Hoffnungsbuch. Wenn wir in Beziehungen leiden, hilft es nicht zu singen I did it my way. Empathie und Anteilnahme im Freundeskreis wären erwünscht, doch die sind selten. Was hilft, in ein paar Stichworten: neue Lebensziele erarbeiten, die Hilferufe des Partners erkennen, Ich-habe-eine-Wahl-Weisheit, Realitätsprüfung der eigenen Ansprüche, menschenerklärende Lochkarte, emotionale Baustelle, Affäre, Loslass-Kompetenz.

Damit wir das Begriffene in den Griff bekommen: Wissen wir, wodurch unsere Unzufriedenheit zustande kommt, welche Grundkräfte auf uns im Inneren wirken, welche Gesetzmässigkeiten am Werk sind, können wir den jeweiligen Gegenpol anschauen – darin liegt die Lösung, der Weg zur Besserung. Wer zum Beispiel auf Durchhalten setzt, hat ebenfalls die Wahl, nicht auf ein Ende zu warten und lieber die praktizierten Muster zu brechen. Dadurch, dass man mit seinem Partner die eigenen Wünsche, Ziele, Veränderungsideen bespricht. Denn die Partner haben davon oft nur wenig Ahnung.
Ein weiterer Nutzen: Falls Sie eine gute Freundin in einer schwierigen Situation sein wollen, finden Sie in diesem Buch auch eine empathische Apotheke, auf der Seite 62. Dazu beendet Maya Onken die einzelnen Kapiteln mit positiven Glaubenssätzen, die Kraft geben sollten, mit sogenannten Affirmationen. Ich habe mir eine solche für mich in eigenen Worten, als Rat an mich selbst, notiert: Miriam, sei manchmal weniger typisch du, versuch es auch auf die Art, wie der andere es tut und lies weiter über die nötige Handlungsänderung ab Seite 171! Nicht jammern, nicht über andere schimpfen, kein Wehklagen über die Welt und Politik, kein schlechtes Gewissen wecken – das erschöpft die Leute! Beziehungen aufbauen kann ich anders – Freude generieren ist besser.

In den Beziehungsdynamiken der Frauen in diesem Buch erkenne ich punktuell bis flächendeckend mich selbst. Es fällt mir etwas schwer zuzugeben, wie gut ich die eine oder die andere der beschriebenen Strategien kenne. Die Dramapalette aus Hingabe, Leidenschaft, Geniessen, Vergöttern, Hoffen, Warten, Selbstaufgabe, Feindseligkeit, Rückzug und Trauern, ist der Autorin offensichtlich wohl bekannt. Das gelebte Leben macht ihren Erfahrungsschatz als Coach aus – Maya Onken begleitet, unter anderem, Menschen auf dem Weg zur persönlichen Entfaltung. Ich bin froh, kann ich als Leser aus dieser Fachkompetenz schöpfen.

Wer ungewollt viel Zeit mit Gedanken an seine Partnerbeziehung verbringt, kann mit diesen zweihundert Seiten diesen Lebensabschnitt sinnvoll verkürzen. Sehr zu empfehlen auch für den Fall, dass Sie als Autorin Figuren für eine Erzählung entwerfen – damit die Zuschreibungen nicht willkürlich, sondern psycho-logisch fundiert und die Charaktere realistisch sind. Auch als Gebrauchsanleitung für ein Leben mit einer Frau (oder mit allen, die sich für eine halten) ist es eine Stütze. Spätestens aber unbedingt dann zu lesen, wenn Sie sich wie Maren Eggert alias Alma im deutschen Film Ich bin Dein Mensch einen humanoiden Roboter als Wegbegleiter zur Seite stellen wollen. Mit der hier erworbenen Selbstkenntnis und dem Katalog der Verhaltensweisen in Paarbeziehungen wird ein von Ihnen programmierter Ihr Mensch für Sie höchstwahrscheinlich der Glücksbringer sein.

Von Miriam Löffel, August 2024

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Maya Onken führt ihre Onken Academy in Uster im Kanton Zürich und ist tätig als Dozentin für Kommunikation, Psychologie, Rhetorik, Methodik und Didaktik und systemisches Coaching.

Das hier vorgestellte Buch Beziehungsstatus unzufrieden Du hast die Wahl, dein Liebesleben so zu gestalten, wie es dir entspricht von Maya Onken erschien im Kösel Verlag, München, 2024.

Hier schreibt Miriam Löffel

Dem Einzelnen zugewandt, der Zivilisation eher fern. Ich bin eine Frau mit Eigenschaften und mag es, wenn Menschen ein Lächeln erwidern - ich tue es auch. Die Wahrnehmung für das "Unwichtige" führte mich zum Studium der Geisteswissenschaften; meine Hingabe galt ausserdem lange Zeit auch meinen Söhnen. Die Zerrissenheit zwischen den eigenen Leidenschaften ist das Hauptmotiv meines Lebensfadens. Meine Lebensthemen sind Familie, Rückzug, Worte hinter der Fassade und die Suche nach Verbundenheit. Das Luxusgut schlechthin ist Stille. Heute orientiere ich mich immer mehr an eigener Erfahrung und bin überzeugt, dass Kleider machen Leute – nicht. Privat und beruflich suche ich nach echten Begegnungen mit echten Menschen. Ich denke, dass Zuwendung und Zuhören die Welt des Einzelnen besser machen. Ich bin ein psychologisch gebildeter Laie und Biografiearbeit erfüllt mich mit Sinnhaftigkeit. Bin kein Gutmensch, versuche jedoch gut zu sein.